PflegePRAXIS

Schmerzmanagement: Zu- und Angehörige sowie Begleitpersonen nicht vergessen

Text: Monika Rimbach-Schurig | Foto (Header): © New Africa – stock.adobe.com

Schmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität der betroffenen Person. Die Mobilität, kognitive Leistungsfähigkeit und auch Aktivitäten im sozialen Umfeld sind oftmals bei pflegebedürftigen Menschen stark eingeschränkt. Hinzu kommt, dass eine Abhängigkeit von anderen Personen durch ein inadäquates Schmerzmanagement begünstigt werden kann. Es wird mehr Unterstützung von Pflegekräften, Zu- und Angehörigen sowie Begleitpersonen, wie der Schulbegleitung oder von der Betreuungsassistenz benötigt. Das Sturz- oder auch Dekubitusrisiko steigt. Da es bislang aber keine validen Daten, wie ein gutes Schmerzmanagement in der häuslichen Versorgung aussehen kann, gibt, konnte auch bislang kein gutes Schmerzmanagement umgesetzt werden. Darauf weist der GKV-Spitzenverband in seiner Schriftenreihe Modellprogramm zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, Band 17, hin.

Auszug aus:

QM Praxis in der Pflege
Ausgabe Mai / Juni 2021
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Untersuchungsergebnisse aus dem Modellprogramm

Daten von 355 älteren pflegebedürftigen Personen mit und ohne kognitive Einschränkungen wurden untersucht. Gleichzeitig wurde auch erhoben, ob ambulante Pflegedienste an der Versorgung beteiligt waren. Ein Ergebnis ist, dass die untersuchte Studienpopulation unter erheblichen inakzeptablen Schmerzen leidet. Da Schmerz ein subjektives Phänomen darstellt, ist er immer vorhanden, wenn Menschen Schmerzen erleben und äußern.

Schmerzen haben eine negative Auswirkung, diese kennen wir z. T. ja auch von uns selbst. Schmerzen führen zu körperlichen, geistigen und sozialen Beeinträchtigungen (Reiter-Theil et al., 2008). Auch Appetitmangel, Ernährungsprobleme, Schlafstörungen, Depressionen, Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit (Covinsky et al., 2009) gibt es.

Deutlich wurde in dieser Studie, dass das Schmerzmanagement Defizite aufweist. Dies betrifft insbesondere

• die Schmerzerfassung,
• die Dokumentation von Maßnahmen,
• die medikamentöse Schmerztherapie.

Die Schmerztherapie in Deutschland, so sagt es die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V., wird bei Menschen mit chronischen Schmerzen nicht ausreichend behandelt. Hinzu kommt, dass gerade ältere Menschen häufiger unter Schmerzen leiden und diese auch noch am wenigsten ein wirksames Schmerzmanagement bekommen. Die Studie zeigt, wie die Proband(inn)en die Schmerzsituation beurteilen. Ein Drittel der Proband(inn)en bzw. deren Angehörige oder Pflegekräfte beurteilen die Schmerzsituation als nicht akzeptabel. In 51,5 % der Fälle wurde bei nicht akzeptabler Schmerzsituation ein Arzt, eine Ärztin hinzugezogen, bei 16,9 % dieser Pflegebedürftigen ein(e) Schmerzexperte/-expertin (GKV-Spitzenverband, Modellprogramm 2020).

Das sollte die Pflegefachkräfte und Ärzte/Ärztinnen alarmieren, denn da geht noch mehr!

Schmerzbezogenes Selbstmanagement unterstützen und fördern

Die Verordnung von Schmerzmedikamenten ist ein Hinweis darauf, dass Schmerzen bei pflegebedürftigen Personen vorliegen. Es gibt aber internationale Studien, die darauf hinweisen, dass es medikamentös unbehandelte Schmerzen bei mindestens 20 % der von starken Schmerzen betroffenen Pflegebedürftigen (Z˙yczkowska et al., 2007; Maxwell et al., 2008; Landi et al., 2001) gibt. (GKV-Spitzenverband, Modellprogramm 2020)

Im Rahmen des Schmerzmanagements sollten nicht nur Ärzte/Ärztinnen an die professionell Pflegenden denken, in Form von gemeinsamen Gesprächen und Austausch, sondern auch an die Menschen, die die pflegebedürftige Person grundsätzlich in der Häuslichkeit oder Behindertenwerkstatt, also in deren Umgebung, versorgen.

Denn das gemeinsame Ziel muss es sein, wie es der Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege definiert:

„Jeder Mensch mit akuten, chronischen oder zu erwartenden Schmerzen erhält ein individuell angepasstes Schmerzmanagement, das der Entstehung sowie der Chronifizierung von Schmerzen und schmerzbedingten Krisen vorbeugt oder Schmerzen beseitigt sowie zu einer akzeptablen Schmerzsituation und zu Erhalt oder Erreichung einer bestmöglichen Lebensqualität und Funktionsfähigkeit beiträgt.“ (DNQP, 2020)

Zu- und Angehörige sind somit individuell über die Schmerzsituation des betroffenen Pflegebedürftigen zu informieren und zu schulen. Das sollte ggf. bereits im Krankenhaus oder der Reha-Einrichtung, bevor Patient(inn)en entlassen werden, erfolgen. Schulung und Beratung sollten nicht nur vermitteln, wie welche Medikamente nach ärztlicher Verordnung einzunehmen sind, es muss auch gezeigt werden, wie schmerzauslösende Situationen bei pflegerischen Interventionen vermieden werden können.

Zu- und Angehörige, Betreuungsassistenz, Schulbegleitung im Blick haben

Laut Destatis gab es bis Ende 2019 4,1 Millionen Pflegebedürftige. 2,1 Millionen Menschen mit Pflegegrad 2 bis 5, das waren 51,3 %, die allein durch Zu- und Angehörige versorgt wurden. 72.700 von ihnen hatten den höchsten Pflegegrad 5. Hinzu kommt, dass viele Pflegebedürftige die Geldleistung und eben nicht die Sachleistung, den ambulanten Pflegedienst, wählen. Manchmal wird allerdings auch eine Kombileistung, die Geld- und Sachleistung, gewählt.

Da sich sehr viele für die Geldleistung entscheiden, sollte bei der Schulung und Beratung nicht nur an die Zu- und Angehörigen gedacht werden, sondern auch an die Betreuungsassistenz, die Schulbegleitung oder die Person, die in der Behindertenwerkstatt zuständig ist für die Schmerzpatient(inn)en.

Die Schulung oder Anleitung sollte im häuslichen Umfeld oder auch in der Behindertenwerkstatt erfolgen. Eine Möglichkeit ist auch, eine gezielte Anleitung durch professionell Pflegende im Rahmen des § 45 SGB XI anzubieten. Hier hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass die Kurse auch auf Wunsch in der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen stattfinden können. Teilnehmen können Zu- und Angehörige, aber auch ehrenamtliche Pflegepersonen. Warum also nicht auch an die Betreuungsassistenz oder Schulbegleitung dabei denken? Oder an die Mitarbeiter der Behinderteneinrichtung?

Strategien gemeinsam entwickeln

Wichtig ist, dass eine gemeinsame Strategie entwickelt wird, die dabei hilft, im Alltag mit Schmerzen besser zurechtzukommen. Akute Schmerzen lassen sich mit Medikamenten behandeln. Chronische Schmerzen werden durch Fehlfunktionen des Nervensystems oder eine chronische Entzündung ausgelöst. Um eine geeignete Strategie gemeinsam zu entwickeln, ist vorauszusetzen, dass auch auf die Schmerzsituation sowohl von Ärzten/Ärztinnen als auch von Pflegefachkräften eingegangen wird. Man kann zwar z. B. chronische Schmerzen nicht beseitigen, diese aber bei manchen Menschen lindern.

Beispiel Spastik

Zahlreiche Ursachen für eine Spastik gibt es. Das kann beispielhaft nach Unfällen mit Schädel-Hirn-Trauma oder Rückenmarksverletzungen oder durch einen Hirninfarkt, der eine hypoxische Schädigung motorischer Hirnregionen verursacht hat, frühkindliche Hirnschädigungen oder auch Hirntumore entstehen.
Die Spastik wird durch ein gestörtes Signalgleichgewicht zwischen dem Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) und den Muskeln verursacht. Die Muskeln sind verhärtet und steif, wodurch Bewegungen schwierig oder unkontrollierbar werden. Nicht selten kommt es durch die Muskelsteifigkeit auch zu schmerzhaften und entstellenden Körperhaltungen. Die Alltagsaktivitäten und die Lebensqualität der betroffenen Person sind eingeschränkt.

• Wie also umgehen mit den schmerzhaften Muskelkrämpfen?
• Worauf ist zu achten?

Da es eine Reihe von Faktoren gibt, die eine Spastik auslösen und verstärken können, ist die Beratung, Schulung und Anleitung sehr wichtig, um das schmerzbezogene Selbstmanagement zu unterstützen und zu fördern. Zu- und Ange-hörige sollten lernen, wie Alltagsaktivitäten, wie z. B. Anziehen, Essen, Bewegung, bestmöglich allein oder mit Hilfe ausgeführt werden können.

Der Umgang mit speziellen Hilfsmitteln sollte nicht nur gezeigt, sondern gemeinsam trainiert werden, bis es sitzt und keine Schmerzen mehr bei der betroffenen Person ausgelöst werden. Auch ist wichtig, dass gezeigt wird, wie man eine Spastik lösen kann. Dafür sind Videofilme, die von Krankenkassen für die Angehörigenschulung angeboten werden, nicht immer ausreichend.

Welche Methoden zur Schmerzbewältigung richtig sind für die betroffene Person, sollte immer gemeinsam besprochen werden. Ist ein spezieller Beratungsbedarf gegeben, ist ein(e) Schmerzexperte/-expertin heranzuziehen. Wie mit Schmerzen umzugehen ist und worauf zu achten ist, damit diese nicht ausgelöst werden, das sollten alle Personen wissen, die die betroffene Person mit versorgen oder bei Alltagsaktivitäten unterstützen.

In Bewegung bleiben

Bei chronischen Schmerzen sind vor allem Bewegung, Entspannung und Methoden zur Schmerzbewältigung aus der kognitiven Verhaltenstherapie hilfreich. Wer körperlich aktiv bleibt und sich bewegt, fördert die Durchblutung und regt den Stoffwechsel an. Das Dekubitusrisiko wird vermindert. Und nicht nur das, Bewegung hat auch noch den Vorteil, dass der Gleichgewichtssinn verbessert wird. Das wiederum kann vor Stürzen schützen. Und wer sich bewegt, der steigert auch sein Wohlbefinden.

Also raus aus dem Bett!

Mit negativen Gedanken umgehen

Aus der kognitiven Verhaltenstherapie weiß man, dass es wichtig ist zu lernen, wie man mit negativen Gedanken umgehen soll. In einer kognitiven Therapie geht es darum, sich über seine Gedanken, Einstellungen und Erwartungen klar zu werden.

Folgen von Schmerzen sind manchmal Ängste, die sich sehr weit ausdehnen können. Die Folge: Die Schmerztoleranz wird abgesenkt und das wiederum führt zu mangelnder Kooperationsbereitschaft. Ein intaktes soziales Umfeld ist enorm wichtig (vgl. Patan, 2015).

Es gilt herauszufinden, welche falschen und belastenden Überzeugungen es gibt, damit diese verändert werden können. Oft sind es nicht nur die Dinge und Situationen selbst, die Probleme bereiten, sondern auch die zu große Bedeutung, die man ihnen gibt.

Es werden aus einem Vorfall sofort negative Schlüsse gezogen und auf die Situation übertragen.

„Ich bleibe lieber zu Hause. Die Schmerzen werden sonst noch schlimmer.“ „Lass mich lieber im Bett bleiben, du zerrst immer an mir so rum, dann habe ich noch mehr Schmerzen in der Schulter.“ „Immer wenn du mich in den Rollstuhl setzt, dann krampft mein Bein.“ „Geh weg, ich will das nicht!“

Das sind Hinweise darauf, dass hier etwas nicht so ganz richtig gemacht wird.

Beratung und Anleitung, Stress reduzieren

Zum einen gibt es übertriebene Sorgen („Ich bleibe lieber im Bett“), die zur Folge haben können, dass eine Inaktivität entsteht und auch das Dekubitusrisiko steigt. Zum anderen gibt es konkrete Hinweise, wie z. B. Zu- oder Angehörigen der Transfer aus dem Rollstuhl auf die Toilette und wieder zurück in den Rollstuhl gezeigt werden sollte, um keine Schmerzen auszulösen. Aber auch die Betreuungsassistenz, die Schulbegleitung tun dies und ist deshalb zu schulen. Hier ist also die Pflegefachkraft gefordert.

Aber auch die Pflegeberatung, die die Beratungsgespräche z. B. bei den Pflegegeldempfängern durchführt, sollte daran denken und gezielt nachfragen, wie es um die Schmerzen der pflegebedürftigen Person bestellt ist, und die schmerzbelastete Person und auch die Zu- und Angehörigen über Schulungsangebote informieren.

Dadurch kann ggf. die klaffende Lücke geschlossen werden. Denn die Studie hat ja gezeigt, dass nur in 51,5 % der Fälle bei nicht akzeptabler Schmerzsituation ein Arzt, eine Ärztin hinzugezogen wurde und lediglich bei 16,9 % dieser Pflegebedürftigen ein(e) Schmerz­experte/-expertin.

Auch Stress kann zu vermehrtem Schmerzempfinden führen.

Meine 5 Highlights mit dir

Da positive Gedanken, schöne Erlebnisse oder auch Musik von Schmerzen ablenken können, werden manchmal zur Schmerzreduktion neben Yoga auch andere Verfahren der progressiven Muskelentspannung, autogenes Training, imaginative Verfahren und die Achtsamkeitsmethode bzw. Meditation angeboten.

Beim imaginativen Verfahren sollen bewusst innere Bilder zur Schmerzreduktion herbeigeführt werden, die Fantasie-reise an einen angenehmen Ort. Die schmerzbelastete Person soll damit verbundene positive Gefühle und Empfindungen aktivieren und so die Belastung durch den Schmerz verringern. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, um positive Gefühle und Empfindungen zu aktivieren.

Weisen Sie doch als professionelle Pflegekraft auch darauf hin, dass Kontakte zu anderen Menschen gut sind. Also nicht nur raus aus dem Bett, auch soziale Kontakte halten. Ein Videotelefonat mit Freunden, Bekannten, Kindern. Empfehlen Sie, dass gemeinsam mit dem Partner, den Eltern am Abend überlegt wird, was gemeinsam in der Familie Schönes erlebt wurde. Vielleicht das Telefonat mit der Enkelin? Der Nachbar, der mal „Hallo“ gesagt hat. Das leckere gemeinsame Essen. Die Teilnahme am Unterricht, was für tolle Ideen dem Kind eingefallen sind, oder die Arbeit in der Behindertenwerkstatt, das gelungene Werk.

Positive Erlebnisse erzeugen gute Gefühle, diese machen uns offener, freier, entspannter und auch zugänglicher. Wer entspannt ist, empfindet auch weniger Schmerzen.

Wie wäre es mit 5 großen rohen Bohnen oder Erbsen, Kastanien … Jeder erzählt dem anderen 5 positive Erlebnisse des Tages. Die pflegebedürftige Person übergibt dem Zu- und Angehörigen für jedes positiv genannte Erlebnis eine Bohne. Danach ist der Zu- und Angehörige dran und teilt seine 5 positiven Erlebnisse mit. Das geht auch mit der Schulbegleitung und dem Kind – meine 5 Highlights mit dir.

Aber bitte nur positive Erlebnisse! Vielleicht auch gemeinsam beim Waldspaziergang?

Beim nächsten Besuch sollten die Pflegeprofis die Gelegenheit nutzen und nachfragen, wie die gemeinsam gefundene Strategie wirkt und wie es um die Schmerzen bestellt ist.

Quellen

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.): Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege, 2020.

GKV-Spitzenverband: Schmerzmanagement bei älteren Pflegebedürftigen in der häuslichen Versorgung, Schriftenreihe Modellprogramm zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, Band 17, 2020.

Merz Pharmaceuticals GmbH, www.spastikinfo.de/leben-mit-spastik, abgerufen am 14.4.2021.

Patan, Daniela: Der Schmerz im Pflegehandeln, freizugängliche Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Dr. phil. im Fach Erziehungswissenschaften, 2014.

Sozialgesetzbuch XI: § 45 Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen, online abgerufen am 19.4.2021 unter juris.de.

Statistisches Bundesamt Destatis: Pressemitteilung Nr. N083 vom 18. Dezember 2020.

Verband der Ersatzkassen: Pflegeversicherungsdaten, www.vdek.com/presse/daten/f_pflegeversicherung.html, abgerufen 31.3.2021.

Die Autorin

Monika Rimbach-Schurig
Krankenhausbetriebswirtin (VKD), Pflegedienstleitung, Klinische Risikomanagerin ONR 49000, Inhaberin von WissensKonsil (Agentur für Gesundheitsthemen). Autorin von Fachbüchern und -publikationen.

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