Dokumentation und Expertenstandards

Mitarbeitern die Pflegedokumentation nahebringen – warum muss ich das alles dokumentieren?

Text: Margarete Stöcker | Foto (Header): © Frank Boston – Fotolia.com

Pflegen kann jeder! Geht es Ihnen bei diesem Satz auch so, dass sich Ihre Nackenhaare aufstellen? Pflegen kann nicht jeder. Der Pflegebedürftige braucht professionelle Unterstützung, alles andere haben er und seine Familie schon – ohne Erfolg – probiert. Und diese Professionalität gilt es zu zeigen und im Sinne des Pflegebedürftigen durchzuführen. Die Dokumentation und somit der Pflegeprozess ist das Instrument, um genau dies abzubilden.

Auszug aus:

QM Praxis in der Pflege
Ausgabe Januar / Februar 2016
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Die Pflegedokumentation ist seit ihrer Einführung ein Streitthema und trotz der Entbürokratisierung der Pflegedokumentation kommt es wegen Umfang und Fragen nach der Sinnhaftigkeit oder Notwendigkeit immer wieder zu langen ermüdenden Diskussionen.

Immer wieder sind diese Sätze zu hören:

„Damals war alles einfacher. Wir hatten Zettel in der Tasche und brauchten nicht so viel dokumentieren. Wir hatten mehr Zeit für unsere Bewohner / Patienten.“ oder „Weil der MDK es sagt.“

Kennen Sie solche Sätze?

Der MDK braucht keine Pflegeplanung, aber der Pflegebedürftige. Er ist deshalb da, weil er pflegebedürftig geworden und / oder erkrankt ist. Er hat Fähigkeiten verloren und braucht professionell Tätige die ihn unterstützen seine Fähigkeiten (wieder-)zuerlangen oder zu erhalten.

Seit 1985 fordert das Krankenpflegegesetz, dass Pflege prozesshaft stattzufinden hat. Seit 1995 gibt es das SGB XI, das Sozialgesetzbuch der Pflegeversicherungen. Dort sind Überprüfung der Qualität und Abbildung des Prozesses beschrieben und geregelt.

Nehmen wir einmal Folgendes an: Sie möchten Ihren nächsten Urlaub auf Mallorca verbringen. Wahrscheinlich fragen Sie Freunde oder Bekannte, Sie holen sich einen Reiseführer, forschen im Internet. Kurz – Sie sammeln Informationen.

Der nächste Schritt ist es zu überlegen, was Ihnen für diesen Urlaub zur Verfügung steht und was Sie persönlich ggf. als Einschränkungen beachten müssen: Sie können 14 Tage Urlaub nehmen und haben dafür maximal 1.400 Euro zur Verfügung. Aber: Sie haben auch einen Hund, der versorgt werden muss, Blumen müssen gegossen werden und die Post muss angenommen werden.

Wenn Sie nach Mallorca fliegen, möchten Sie sich wahrscheinlich erholen oder es mal so richtig krachen lassen. Sie möchten jedoch auch mit Ihrem Geld auskommen und nach Möglichkeit bei der Rückkehr Ihren Hund fröhlich wiederbekommen, sowie Ihre Pflanzen in einem guten Zustand. Also werden Sie sich eine gute Hundepension suchen und Ihre Nachbarin bitten sich um Ihre Pflanzen und Ihre Post zu kümmern. Also werden Sie im Reisebüro buchen, Ihre Koffer packen und los geht es.

Irgendwann ist auch der schönste Urlaub vorbei und Sie werden feststellen, ob
Sie sich erholt haben. Wie geht es Ihrer Wohnung und Ihrem Hund? Sie werden dann ein Fazit ziehen, vielleicht nie wieder Mallorca oder die Hundepension oder immer wieder. So schließt sich der Kreis, bleibt jedoch im Prozess, denn die Erfahrungen aus diesem Geschehen nehmen Sie mit in die nächste Urlaubsplanung.

Was bedeutet das und warum soll es sein?

Das nebenstehende Beispiel aus dem persönlichen Alltag zeigt, wie selbstverständlich die Schritte des Pflegeprozesses für uns sind.

Diesen gerade beschriebenen Kreislauf durchlaufen wir ständig. Selbst wenn Sie überlegen, was es abends zu essen geben soll, welches Auto Sie kaufen oder, oder.

Sie werden immer für sich Informationen sammeln, schauen, was Sie auf der Plus- und Habenseite haben. Was möchten Sie erreichen, erhalten oder wiedererlangen? Wie können Sie dies erreichen? Sie werden es tun, um dann zu prüfen, ob die Ergebnisse für Sie stimmen.

Dieser Ablauf ist so selbstverständlich, die einzelnen Schritte laufen ohne langes Überlegen automatisch ab. Wieso ist es dann bei der Pflegeplanung so schwierig, diesen Kreislauf umzusetzen.

Ein Bewohner zieht in eine Einrichtung oder kommt als Patient in Ihre Klinik. Zunächst ist er ein „weißes Blatt Papier“. Das bedeutet, Sie wissen erst einmal wenig von dem Menschen. Ein paar Eck­daten, Krankheiten, ggf. Medikamente. Jetzt beginnt der Prozess. Diese Daten wurden beim Erstgespräch erfasst.

Als Pflegende erhalten Sie noch weitere Informationen.

Dazu gehören die Pflegeanamnese und das Risikomanagement.

Nun werden die Fähigkeiten und die Ressourcen erfasst, ebenso welche .Probleme auftreten.

Vielleicht sind es genau diese Begriffe, die auf manche Pflegekräfte abschreckend wirken, denn praktisch betrachtet, zeigt das angeführte private Beispiel, dass es für uns eine Selbstverständlichkeit ist, die entsprechenden Informationen zu sammeln und zu bewerten.

Die nachfolgenden Definitionen von Prof. Monika Krohwinkel können Mitarbeitern den Zugang zum ersten Schritt der Pflegeplanung erleichtern. Gleichzeitig stellen sie eine gute Basis für die weitere Umsetzung dar:

Definitionen (Krohwinkel)

Eine Fähigkeit ist das, was ein Mensch kann.

Eine Ressource ist das, was der Mensch aus seiner Umgebung benötigt, um seine Fähigkeiten zu erhalten, zu erlangen oder wiederzuerlangen.

Ein Bedürfnis ist, wenn eine Person etwas möchte.

Ein Problem ist erst dann ein Problem, wenn ein Mensch das, was er benötigt oder möchte nicht realisieren kann.

Mit diesen Grundgedanken beginnt der Suchprozess. Es ist beinahe so, als würden Sie eine Lupe in die Hand nehmen und im Sinne des Pflegebedürftigen anfangen zu beschreiben, was für ihn nötig ist. Natürlich in seinem Sinne.

Also welche Probleme treten auf, welche Ziele sind daraus zu formulieren? Dieser Schritt der Zielformulierung fällt bei der sogenannten SIS (Strukturierte Informationssammlung der entbürokratisierten Dokumentation) weg bzw. wird nicht mehr explizit benannt, dort werden Ziele als immanent bezeichnet (das bedeutet, das Ziel liegt „auf der Hand“).

Erkennen Sie fachlich die Problematik bzw. die Einflussfaktoren des Problems, sind die Maßnahmen und die Durchführung tatsächlich offenkundig.

Welche Bedeutung haben Einflussfaktoren?

In einigen Pflegeplanungen stehen immer noch ähnliche Beschreibungen wie das nachfolgende Beispiel, das sehr anschaulich zeigt, wie wichtig eine genaue Beschreibung mit Berücksichtigung der Einflussfaktoren tatsächlich ist.

Beispiel

Problem: Bewohner trinkt nicht ausreichend

Ziel: Bewohner trinkt ausreichend

Maßnahmen: Getränke anreichen, Lieblingsgetränk anreichen

Die Pflegende, die diese Planung schreibt, weiß genau, was sie meint und was sie für den Betroffenen erreichen möchte. Aber das reicht nicht aus.

In der Richtlinie für Dokumentation in der Pflege des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen (MDK) finden Sie die Empfehlung, ein Problem nach dem sogenannten PESR-Prinzip zu beschreiben. Das bedeutet:

PESR-Prinzip

Was ist das Problem?

Was sind die Einflussfaktoren für dieses Problem (Ursache), womit hängt es zusammen?

Wie zeigt / äußert sich das Problem (Symptom) konkret, Beobachtungen oder Aussagen des Pflegebedürftigen?

Welche Ressourcen (Fähigkeiten) sind beim Pflegebedürftigen und seiner Umgebung vorhanden?

Bezogen auf das oben genannte Beispiel bedeutet es Folgendes:

Bei der Pflegeübernahme wird in der Regel für ca. drei Tage ein Flüssigkeitsprotokoll geführt, um das Trinkverhalten zu erkennen.

In unserem Beispiel unterstellen wir jetzt, das der Betroffene ein „normales“ Trinkverhalten hatte. Irgendwann wird beobachtet, dass der Betroffene sein Trinkverhalten verändert. Diese Beobachtung wird im Pflegebericht fixiert. Bei einer weiteren Beobachtung wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Trinkprotokoll angelegt (Indikationsformular). Weiterhin wird beobachtet, welche Einflussfaktoren eine Rolle spielen, denn daraus lassen sich die Maßnahmen ableiten.

Trinkt er deshalb nicht, weil er dies infolge einer Erkrankung vergisst? Oder weil er keine Kraft mehr in den Armen hat, das Glas zu heben und zum Mund zu führen? Trinkt er deshalb nicht, weil er nicht mehr richtig schlucken kann oder weil es nicht schmeckt? Bleibt das Trinken aus, weil er vielleicht Wahnideen hat, seine Getränke wären vergiftet oder schmeckten nach Fäkalien?

Das Problem des zu wenigen Trinkens (das „zu wenig“ muss genau definiert werden, z. B. unter 1.000 ml in 24 Std.) lässt sich eher lösen, wenn der Einfluss erkannt und dann verändert wird. Es liegt auf der Hand, dass es andere Maßnahmen erfordert, wenn die Gläser zu schwer wären oder ob eine Schluckstörung vorherrscht.

Beispiel

Problem: Betroffener trinkt infolge eines Kraftverlustes in beiden Unterarmen unter 1.000 ml in 24 Std. Er ist motiviert, zu trinken.

Ziel: Unterarme sind gekräftigt. Betroffener trinkt in 24 Std. 1.500 ml.

Maßnahmen: Physiotherapie lt. Anordnung. Bewegungs-, Krafttraining lt. Anordnung einmal pro Dienst. Gläser gegen leichte Becher austauschen und nur halb füllen. Je nach Tagesform Getränk anreichen, dabei dem Betroffenen den Becher in die Hand geben und die Hand stützen bzw. führen.

Diese Maßnahmen werden dann entsprechend durchgeführt. Die Beobachtungen dazu finden sich im Pflegebericht wieder. Bei der Evaluation wird geprüft was die Maßnahmen bewirkt haben. Sind sie erfolgreich, werden sie beibehalten. Sollte dies nicht der Fall sein, werden weitere Maßnahmen gesucht. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem weitere Möglichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch das ist ein Ergebnis.

Diese Wege, die selbstverständlich in der Praxis stattfinden, sollten auch genauso logisch und selbstverständlich schriftlich fixiert werden.

Was geschieht auf diesen professionellen Weg?

Pflegende zeigen auf, dass sie a) den Betroffenen im Blick haben und b) überlegt handeln. Pflegende haben dadurch die Möglichkeit, ihre Professionalität unter Beweis zu stellen. Zu erkennen, was der einzelne Mensch bei Verlust seiner Fähigkeiten benötigt. Es stärkt das Gefühl, aktiv am Prozess beteiligt zu sein.

Die große Herausforderung ist ein gemeinsames Tun innerhalb dieses Prozesses. Gemeint ist, dass die Pflegeplanungen auch gelesen werden. Sie sind eine Handlungsanweisung und werden damit zum echten Instrument der Pflege.

Nehmen wir wieder Folgendes an: Ein Betroffener, evtl. demenziell erkrankt, kann seine eigenen Abläufe in der Grundpflege nicht mehr so einfach kommunizieren. Er verliert gerade sein „Personsein“ und braucht dringend Orientierung von außen. Orientierung durch feste Abläufe, nach Möglichkeit sogar eigene / seine Rituale.

Gerade unter diesen Voraussetzungen müssen Pflegende oft nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ arbeiten. Umso wichtiger ist es, die Versuche zu dokumentieren, um die Erfolge zu erkennen und sie in Maßnahmen festzuschreiben. Gleichzeitig sind auch die „Misserfolge“ zu benennen, damit sie nicht jeder Profi immer wieder „ausprobieren“ muss.

Dieser beschriebene Prozess ist in seinen Grundstrukturen immer wieder gleich, egal ob letztendlich nach der „Fördernden Prozesspflege“ nach Prof. Monika Krohwinkel oder nach dem kommenden SIS als Basis beschrieben wird.

Auf der nächsten Seite finden Sie eine Tabelle mit den wichtigsten Formularen. Dabei werden Basisformulare und Indikationsformulare unterschieden. Die Indikationsformulare haben den Zweck, folgende Aspekte zu dokumentieren:

  • ein Thema oder ein Risiko wurde erkannt
  • was und wie es behandelt wird bzw. wie die Gefahr abgewendet wird
  • wer etwas wie macht.

Fazit

  1. Durch die Dokumentation können Sie Ihre Professionalität belegen.
  2. Sie handeln im Sinne des Betroffenen.
  3. Im Schadensfall muss sich aus der Pflegedokumentation ergeben, dass der Schadenseintritt unvermeidlich war, obwohl die Pflege fachlich gemäß dem Stand des Wissens erbracht wurde.
Der Autor

Margarete Stöcker
Master of Arts im Gesundheits- und Sozialmanagement, Diplom-Pflegewirtin (FH), Heilpraktikerin für Psychotherapie, Multiplikatorin der „Fördernden Prozesspflege” von Monika Krohwinkel ausgebildet, Lehrbeauftragte an der Hamburger Fern-Hochschule im Studienzentrum Bielefeld, Autorin und Trainerin.

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